Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung
Es gibt viele Irrtümer, Missverständnisse und Mythen über Persönlichkeitsstörungen, auch über die Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung. Wer zum ersten Mal von eine Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung hört, stellt sich sofort extrem schüchterne und unsoziale Menschen vor. Tatsächlich hat diese psychische Erkrankung viel mit der Unfähigkeit zu tun, mit anderen in Kontakt zu treten und in Kontakt zu bleiben.
Irrtum 1: Menschen mit ÄVPS sind nur sehr schüchtern
Viele Menschen kennen Schüchternheit, Nervosität im Gespräch mit neuen Menschen oder leichte Angst, sich in einer sozialen Situation zu blamieren. Schüchterne Menschen gehen gesund mit diesen Gefühlen um und haben dennoch ein erfülltes soziales Leben. Bei einer Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung können diese Gefühle jedoch überwältigend sein und die Betroffenen daran hindern, an Orte zu gehen, an denen soziale Interaktionen möglich sind. Dies hat schwerwiegende negative Auswirkungen auf ihren Alltag und ihr persönliches Leben.
Ausserdem wirken viele ÄVPS-Betroffene gar nicht schüchtern. Schüchternheit lässt sich überspielen und soziale Skills kann man lernen. Gerade wenn ein Betroffener auch schizoide Merkmale hat, wirkt diese Mischung auf Mitmenschen eher kühl bis arrogant. Betroffene, die ihre Unsicherheit nicht zeigen, tun dies, um sich nicht angreifbar zu machen. Immer perfekt!
Irrtum 2: Eine Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung ist dasselbe wie Introversion
Introversion ist keine psychische Störung, sondern ein normales Persönlichkeitsmerkmal. Persönlichkeitsmerkmale sind genetisch vorbestimmt und bleiben im Lauf eines Lebens relativ stabil. Zwar deuten Untersuchungen daraufhin, dass unter Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung-Betroffenen Introvertiertheit deutlich häufiger vorkommt, es gibt jedoch auch extrovertierte Menschen mit Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung!
ÄVPS-Betroffene haben eines mit stark introvertierten Menschen gemeinsam: Soziale Kontakte ermüden sie schnell aus und sie benötigen Zeit für sich allein, um Energie zurückzugewinnen. Bei ÄVPS-Betroffenen ist die Ursache ihre erhöhte Achtsamkeit (Hypervigilanz) in sozialen Situationen. Wer ständig befürchtet kritisiert zu werden und sich daher extrem bemüht, ja keine Fehler zu machen, ist entsprechend aufmerksam. Dieser Alarm-Zustand kostet allerdings viel Kraft.
Irrtum 3: ÄVPS-Betroffene sind Misanthropen
Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung-Betroffene meiden soziale Situationen, aber nicht, weil sie andere Menschen nicht mögen. Viel mehr befürchten Betroffene, dass sie diejenigen sind, die nicht gemocht werden. Fast alle Menschen mit Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung haben eine tiefe Sehnsucht nach Freundschaften und engen Beziehungen. Es ist ihre extreme Angst, nicht gemocht, verspottet, ausgenutzt oder beschämt zu werden, die sie davon abhält diese Bindungen auch wirklich einzugehen.
Menschen mit Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung nehmen sich selbst meist als mangelhaft wahr und sie lassen sich nur auf soziale Interaktionen ein, wenn sie sich sicher fühlen, dass sie akzeptiert und nicht kritisiert werden. Neue Bekanntschaften werden nur dann weiterverfolgt, wenn es gelingt dem Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung-Betroffenen deutlich zu machen, dass ein Kontakt gewünscht wird.
Irrtum 4: Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung und Antisoziale Persönlichkeitsstörung sind das gleiche
Das war’s dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Viel wichtiger ist, dass sich die beiden Persönlichkeitsstörungen in einigen, ganz wesentlichen, Punkten erheblich unterscheiden. Angst spielt bei der Antisozialen Persönlichkeitsstörung keine wesentliche Rolle. Antisoziale verstoßen gegen soziale Normen, weil sie ihnen schlicht egal sind. Man darf auch davon gehen, dass die meisten anderen Menschen ihnen egal sind. Sie interagieren mit Menschen, meist dann, wenn diese manipuliert und ausgenutzt werden können.
Irrtum 5: ÄVPS ist nicht heilbar
Die Therapie einer Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung kann schwierig sein, falls Betroffene überhaupt Hilfe suchen. Einen geeigneten Therapeuten finden und einen Ersttermin zu vereinbaren ist für viele Betroffene eine Herausforderung. Oft wird erst dann Hilfe gesucht, wenn eine weitere Störung wie Depressionen oder Panikattacken dazu kommen.
Depressionen wie Angstzustände lassen sich mit Medikamenten behandeln. Dies gilt jedoch nicht für die Persönlichkeitsstörung. Persönlichkeitsstörungen können generell nicht direkt mit Medikamenten behandelt werden. Allenfalls können diese jedoch eine Gesprächstherapie unterstützen. Bei den Therapiemethoden hat sich Schematherapie oder Kognitive Verhaltenstherapie als besonders hilfreich erwiesen. Dies ist eine Mischung aus Gesprächen und Verhaltensberatung.
Das Ziel einer Ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung-Therapie ist, dass Betroffene besser und erfolgreicher mit ihrer „Extrem-Variante“ einer Persönlichkeit leben können. Auch wenn viele Betroffene andere Träume haben, so wird wohl keine Therapie der Welt ihren Persönlichkeitstyp weltbewegend verändern. Aber man kann lernen, mit der Störung so gut klarzukommen, dass sie das eigene Leben nicht mehr behindert und so ihren Krankheitswert verliert.
Schöner Beitrag! Danke! 😀
Meine Eltern haben am Anfang auch gedacht, ich sei „antisozial“. Sie sagen das bis heute manchmal, vielleicht weil es sich einfach leichter merken lässt? 😂
Also wie jetzt? Sagen sie antisozial weil sie Dich so sehen oder weil sie die Namen verwechseln?
Zweiteres! Sie sagen antisozial und meinen ängstlich-vermeidendend (sie kennen sich mit beidem nicht aus). Das Problem ist dann eher, dass sie unbeteiligten Dritten erzählen, ihr Sohn sei antisozial. Seither schliessen alle Nachbarn ihre Türen und Fenster, wenn ich meine Eltern besuche. 😎
Oh je… sicher eine unangenehme Situation für Dich. Ich musste trotzdem gerade lachen, als ich es mir vorgestellt habe.